Bidirektionales Laden: Zukunftsvision oder noch weit entfernte Praxis?
Bidirektionales Laden ist in aller Munde. Es wird als eine der innovativsten Technologien für die Zukunft der Elektromobilität und die Energiewende beworben. Doch was steckt wirklich dahinter, und wann wird es für den Durchschnittsnutzer praktikabel? Wir beschäftigen uns intensiv mit diesem Thema und wollen hier den aktuellen Stand zusammenfassen.
Was ist bidirektionales Laden?
Kurz gesagt ermöglicht bidirektionales Laden, dass Elektrofahrzeuge nicht nur Strom aus dem Netz beziehen, sondern auch wieder zurückspeisen können. Das kann in drei Varianten erfolgen:
- Vehicle-to-Home (V2H): Das E-Auto dient als Stromquelle für das eigene Haus.
- Vehicle-to-Grid (V2G): Das Auto speist Strom ins öffentliche Netz ein und kann somit Lastspitzen abfedern.
- Vehicle-to-Load (V2L): Das Fahrzeug kann externe Geräte oder Verbraucher direkt mit Strom versorgen, etwa für Camping, Baustellen oder als Notstromquelle.
Diese Technologie könnte eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung der Stromnetze spielen, die Nutzung erneuerbarer Energien optimieren und Kosten für Stromverbraucher reduzieren. Doch in der Praxis sieht es noch anders aus.
Wo stehen wir heute?
Zwar werben einige Wallbox-Hersteller mit „BiDi Ready“ (bidirektional bereit), doch das bedeutet lediglich, dass die Wallbox die nötige Kommunikation mit dem Fahrzeug unterstützt. Das heißt nicht, dass dein Auto bidirektionales Laden tatsächlich nutzen kann.
Aktuell ist der Markt für bidirektionales Laden noch stark eingeschränkt:
- Fast ausschließlich DC-Technologie: In 90 % der Fälle funktioniert bidirektionales Laden nur über DC (Gleichstrom). Die dafür notwendigen Ladestationen sind jedoch extrem teuer (3.000–5.000 €).
- Eingeschränkte Fahrzeugkompatibilität: Nur wenige Fahrzeuge unterstützen bidirektionales Laden. VW erlaubt beispielsweise nur maximal 10.000 kWh Entladung, was die Wirtschaftlichkeit stark einschränkt.
- Systemverluste und Standby-Verbrauch: Selbst wenn dein Auto als Stromquelle für dein Haus dient, entstehen Verluste durch Umwandlung und Standby-Betrieb. Ein Elektroauto benötigt im Standby bereits 200–300 W, zusätzlich entstehen Wechselrichterverluste von 100–200 W. Das bedeutet, dass allein die Peripherie mehr Strom verbraucht als viele Haushalte in der Grundlast.
V2L als praktikable Alternative?
Während V2H und V2G noch viele technische und regulatorische Hürden haben, ist Vehicle-to-Load (V2L) bereits heute nutzbar. Viele moderne Elektroautos, wie der Hyundai Ioniq 5 oder der Kia EV6, bieten eine V2L-Funktion, mit der externe Verbraucher direkt über den Fahrzeugakku mit Strom versorgt werden können.
Das bietet praktische Anwendungen:
- Camping & Outdoor: Strom für Kaffeemaschinen, Kochplatten oder elektrische Heizgeräte.
- Baustellen & Handwerk: Betrieb von Werkzeugen, ohne auf eine externe Stromquelle angewiesen zu sein.
- Notstromversorgung: Im Falle eines Stromausfalls kann das Fahrzeug kritische Haushaltsgeräte betreiben.
V2L ist im Gegensatz zu V2H und V2G vergleichsweise einfach, da es keine komplizierte Netzintegration benötigt. Es ist eine praktikable Möglichkeit, Elektromobilität sinnvoll für den Alltag zu nutzen.
Wir sind überzeugt, dass es noch mindestens fünf Jahre dauern wird, bis bezahlbare DC-Wallboxen für Privatanwender erhältlich sind. Doch selbst dann gibt es Herausforderungen:
- Fehlende Steuerung für den Hausbedarf: Um bidirektionales Laden im Haus effektiv zu nutzen, müsste die Ladestation exakt wissen, wie viel Strom gerade benötigt wird. Dafür wäre zusätzliche Hardware erforderlich.
- Höhere Anschaffungskosten: Die Kosten für eine geeignete DC-Wallbox und die notwendigen Steuerungssysteme sind derzeit für den Privatbereich nicht rentabel.
Wer profitiert wirklich von bidirektionalem Laden?
Das Konzept ist weniger für Privatpersonen gedacht als vielmehr für Unternehmen mit großem Energiebedarf. Beispiele:
- Industrielle Spitzenlast-Reduzierung: Morgens, wenn Maschinen anlaufen, kann Strom aus den Autos der Mitarbeiter genutzt werden, um teure Lastspitzen zu vermeiden.
- Nachbarschafts-Stromversorgung (V2G): Ein denkbares Zukunftsszenario ist, dass Elektroautos Energie in das Netz einspeisen und so ganze Viertel versorgen. Doch die Abrechnung dieser Energiemengen ist derzeit noch ein großes Hindernis.
Unsere Empfehlung
Wir arbeiten daran, dass clever-PV bidirektionales Laden zukünftig unterstützen kann. Dennoch raten wir dazu, keine zu großen Erwartungen zu haben – es wird noch dauern, bis Fahrzeuge, Infrastruktur und Regulatorik wirklich darauf abgestimmt sind.
Falls du dich tiefergehend mit dem Thema beschäftigen möchtest, findest du hier weiterführende Informationen:
- go-e Magazin: Bidirektionales Laden
- YouTube: Bidirektionales Laden erklärt
- Forschungsstelle für Energiewirtschaft
- ADAC: Was bringt bidirektionales Laden wirklich?
Fazit: Bidirektionales Laden hat großes Potenzial, ist aber für Privatanwender noch weit entfernt von der Alltagstauglichkeit. Wer sich heute eine entsprechende Wallbox anschafft, sollte sich bewusst sein, dass es noch Jahre dauern wird, bis das eigene Auto wirklich als Energiespeicher genutzt werden kann. Evtl. hat sich dann die Technologie schon so stark weiter entwickelt, dass die aktuellen Produkte bis dahin veraltet sind.
V2L hingegen bietet schon heute echte Vorteile und kann eine sinnvolle Ergänzung für den Alltag sein.